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Erwachsene LeserInnen mit Interesse an literarisch aufgearbeiteten Biographien und der Alltags-Geschichte der DDR
Epimetheus oder Kühlschrank auf dem Ast
von Holger LeiseringDer vorliegende Bericht beschreibt die Odyssee eines Außen-seiters, eines so genannten Asozialen, aus Halle an der Saale während der Zeit des 'real existierenden Sozialismus’' in der DDR. Holger resp. Herr Leisering, auch vom Namen her unverkennbar identisch mit dem Autor, hasst nicht die Arbeit schlechthin (sonst hätte er dieses Buch nicht schreiben können), sehr wohl aber den staatlichen Zwang dazu. Eine der Schlüsselsequenzen des vorliegenden Textes lautet: Mein mangelhaft entnazifizierter Großvater, die hysterische Mutti und die zuständigen Organe waren sich über die Pflicht zur Arbeit so einig, dass ich keine Chance sah; ich würde gezwungen sein, ihren Befehlen zu gehorchen, das machte sie mich hassen, so blind, dass ich Jahre später meinem begeistert ins Protokoll kritzelnden Vernehmer mit distanziert kühler Stimme Nietzsches Sentenz entgegen hielt: 'Arbeit schändet sicher nicht, aber sie entadelt!' Die mochten es eher kurz und griffig, und noch Jahre später zitierten mich protokollierende Polizisten falsch: 'Arbeit entadelt!'. Wenn auch auf modifizierte Weise, stellt sich heute, in Zeiten hoher Erwerbslosigkeit und bis unters Existenzminimum sinkender Löhne, wieder die Frage da-nach, welche Bedeutung der Arbeit im Sinngefüge unseres Lebens zukommt. Zumindest fällt ein erhellendes weil korri-gierendes Schlaglicht auf die damalige Behauptung, Arbeit sei das wichtigste aller Bedürfnisse und als solches Dreh- und Angelpunkt des Daseins. Insofern ist Leiserings Text nicht ausschließlich als zeitgeschichtliches Dokument von Interesse.