Allitzte - Erste Edition von Michael Stoll | Alltagstexte - Tanz des Philosophems | ISBN 9783935809016
Buch

Allitzte - Erste Edition

Alltagstexte - Tanz des Philosophems

von Michael Stoll
Buchcover Allitzte - Erste Edition | Michael Stoll | EAN 9783935809016 | ISBN 3-935809-01-8 | ISBN 978-3-935809-01-6

Allitzte - Erste Edition

Alltagstexte - Tanz des Philosophems

von Michael Stoll
Anmerkungen zu „ALLITZTE I-IV – Erste Edition“ und zum „Mergat“-Verlag
ALLITZT – diese etwas sperrige Wortschöpfung aus „All“ und dem althochdeutschen „itzt“ für „jetzt“ – verstehe ich als Verschränkung von raum- und zeitlosem allumfassenden Leben – ALL – und raumzeitlich begrenztem Leben - ITZT. Die „ALLITZTE“- Texte bringen im Wort dieses spannungsvolle Wechselspiel zwischen dem Fließen des Lebens - ALL - und dem Anhalten dieses Fließens – ITZT - hervor. Sie benennen im ALL-Tag Wahrgenommenes, heben es heraus aus dem steten Fließen, bewahren es so vor dem Verfließen – machen es dadurch plastisch und - eröffnen den Raum, in dem wir es erfahren, betrachten, befragen und bestaunen können. Dies ist die eine Wesentlichkeit dieser Texte, die sie mit Dichtung und Kunst im allgemeinen teilen.
Was ist aber nun das Eigene – der eigene Ton dieser „ALLITZTE“-Texte? Ich glaube, es ist zuallererst das Ringen mit und um das Wort, das sie uns erfahrbar machen. Ein Ringen, das immer wieder ins Wort mündet, das Wort immer wieder setzen muss, um nicht sprachlos zu sein. Das aber in diesen Wort-Setzungen etwas einschreibt, was diese ständig übersteigt. Dieses Übersteigende will mehr als das Anhalten des Fließens im ITZT, will mehr als fließendes ALL. Es will, so denke ich, die radikale Offenheit an die spannungsvolle wechselseitig sich bedingende Bewegung von ALL und ITZT. Schreiben an dieser Offenheit weiß um das Festhalten-Wollen und die Gefahr des Erstarrens im aufgefundenen Augenblick, weiß auch um das Sich-treiben-lassen-Wollen und die Gefahr des Sich-Verlierens in einem Allumfassenden. Deshalb kann ein Schreiben an dieser Utopie - die Offenheit für die lebendige Bewegung - nur das Spiel an und mit den Grenzen der Sprache sein, um diese Grenzen auszuloten, sie zu erfahren, sie nachzuzeichnen, sie sichtbar zu machen und sie – wo möglich – zu erweiten.
Dass dieses Spiel an und mit den Grenzen der Sprache eine kontinuierliche und beharrliche Arbeit an der Sprache ist, dokumentieren zuallererst die vier Einzelbände „ALLITZTE I, II, III und IV, die seit 1997 jährlich erscheinen. Daneben sind in einer wesentlichen Vorarbeit zu diesen Bänden vier Jahresskulpturen entstanden, gestaltet aus je zwölf Monatsausgaben im FAZ-Format, die Michael Stoll entsprechend zu „ALLITZTE“ mit den althochdeutschen Monatsnamen überschreibt. Sie stehen für sich selbst und doch vermittelnd zwischen den großformatigen Einzelbänden im roten, blauen, gelben und grünen Leineneinband und den handschriftlichen Tagebucheintragungen, aus denen die „ALLITZTE“-Texte ihren ursprünglichen Impuls schöpfen.
Das vorliegende Buch - „ALLITZTE I-IV – Erste Edition“ - ist, so denke ich, ein weiterer Markstein am Wege des auf 12 Jahre angelegten „ALLITZTE“-Projektes. Als Auswahl von 170 Texten aus den insgesamt 1400 Texten, kann es eine inhaltliche Entwicklung nur durchscheinen lassen. Was ich wahrnehme, im Durchgang von „ALLITZTE I, II, III und IV, ist eine kompromisslosere Wortsetzung in den Einzeltexten, die aber nun stärker aufeinander verweisen und damit eine innere Zusammengehörigkeit bewirken - letztlich den eigenen Ton der „ALLITZTE“-Texte klarer zum Klingen bringen. Diese Dimension der inneren Zusammengehörigkeit der einzelnen Texte, betont nun die äußere Gestaltung dieses neuesten Buches: statt wie bisher einen Text pro Seite zu setzen und damit optisch den Augenblick ins Zentrum zu rücken, wurden die Texte hier als Fließtext angeordnet. Das wirkt sich auf das Format des Buches wesentlich aus: es ist kleiner, schmaler, handlicher, leichter – und preiswerter. Einband, Papier, Lesebändchen und Titelprägung sprechen in Form und Farbe ihr „ALLITZT“. Mit diesem Buch in der Hand ist offen-sichtlich, dass Arbeit mit und an den Grenzen der Sprache – notwendig – immer Arbeit an und mit den Grenzen unserer konkreten Lebenswelt ist. Dem Wunsch, diese Grenzen mitzugestalten, sie – wo möglich – zu erweiten, entspringt die Gründung des „Mergat“-Verlags. Zusammen mit neueren technischen Druck- und Verbreitungsverfahren – wie print on demand oder book on demand – und der Möglichkeit dem Buch die gesprochenen Texte digitalisiert als CD beizufügen - macht es dem „Mergat“-Verlag möglicher, Form und Inhalt aufeinander abzustimmen und so am Klang des eigenen Schreibens noch differenzierter zu arbeiten.
„Mergat“ – so hat mir Michael Stoll gesagt, geht zurück auf die lateinische Passivform „mergari“ und meint „eintauchen“, „versinken“. Ich wünsche mir jetzt für die Texte dieses Buches „ALLITZTE I-IV- erste Edition“ von Michael Stoll, dass wir darin eintauchen, ohne zu erstarren, dass wir darin versinken, ohne uns zu verlieren.
Andrea Knoblauch, Hagnau am Bodensee 2001