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UNIKATE 49: Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet
Vielfältig und doch individuell
von Wilhelm Grießhaber und weiterenVerehrte Leser*innen,
seit Jahrzehnten prägen Vielfältigkeit
und Individualität das Leben in der
Ruhrmetropole. Flüchtige Begegnungen
mit kaum identifizierbaren
Wortfetzen immer noch exotisch
scheinender Sprachen lassen erahnen,
dass Menschen unterschiedlicher
Sprachen und Kulturen die urbane
Landschaft in der Ruhrmetropole
bunter gestalten, gleichzeitig jedoch
dieser geographischen Region ihren
individuellen Charakter verleihen.
Durch Migration sind neue
Heimat(en) entstanden, es begegnen
sich viele Sprachen, persönliche
Lebensgeschichten und Lebenswege
befinden sich im Wandel, kulturelle
Anker aus der Heimat verlieren an
Bedeutung oder werden stärker denn
je. Ein dynamischer Wandel, der
in unserer Gesellschaft auditiv wie
visuell wahrnehmbar ist. Es ist unbestritten:
MEHRsprachigkeit und
MULTIkulturalität ist in unserem
Alltag längst präsent.
Ein Angelpunkt deutscher
Migrationsgeschichte steht im
Zusammenhang mit dem Anwerbeabkommen,
das Deutschland mit
Ländern des Südens vereinbart hatte.
Als vor mehr als fünfzig Jahren
Menschen ihre Heimat verließen und
sich auf den Weg nach Deutschland
machten, erwartete sie, laut Anwerbeabkommen,
Lohn und Brot. Niemand
war so weitsichtig genug auch
nur annähernd zu erahnen, dass diese
Menschen sich dazu entschließen
würden, nicht nur hier zu bleiben,
sondern auch ihre Familien nachzuholen.
Die sogenannten „Gastarbeiter“,
wie diese Menschen etikettiert
wurden, reisten unter anderem aus
Italien (1955), Griechenland, Spanien
(1960) und der Türkei (1961)
an und wurden per Arbeitsvertrag
für einen zeitlich begrenzten und
somit vermeintlich kontrollierbaren
Zeitrahmen angeworben. Doch wie
die Geschichte gezeigt hat, kam es
anders. Nicht zu vergessen ist eine
weitere Gruppe von Zuwanderern,
die als Russlanddeutsche bezeichnet
werden, und die Migrationsgeschichte
Deutschlands nicht weniger
geprägt haben, wie das Kompetenzzentrum
für Integration der Bezirksregierung
Arnsberg eindrucksvoll
dokumentiert. Gegenwärtig verlassen
Menschen (vorwiegend aus
Syrien, Afghanistan und dem Irak)
ihre Heimat aufgrund kriegerischer,
politischer oder sozioökonomischer
Gründe und bitten in Deutschland
um Asyl. So konstatiert das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) in seinem aktuellen Bericht
vom April 2016, dass 59.680 Erstanträge
entgegengenommen wurden,
eine Zahl, die stetig nach oben korrigiert
wird. Damals wie heute gilt es
Menschen in gesellschaftliche Strukturen
einzubinden und sie als Teil
einer immer im Wandel stehenden
Gesellschaft wahrzunehmen, und die
daraus resultierenden dynamischen
Veränderungen zu beleuchten und
zukunftsweisend zu interpretieren.
Ziel einer Gesellschaft sollte es sein,
Kulturen und Sprachen den Raum zu
geben, innerhalb dessen sie sich entwickeln
können. Dass sich dieser Weg als
nicht unproblematisch gestaltet, diskutiert
Rupprecht S. Baur in seinem
Kommentar zu diesem Band.
Der Standort Essen
In Essen, an der Universität Duisburg-
Essen, (die stellvertretend für
weitere Universitäten steht) haben sich
viele Forscher*innen bereits in den
1970er Jahren diesen dynamischen,
die Gesellschaft verändernden Prozessen
gewidmet und diese aus dem
Blickwinkel unterschiedlicher wissenschaftlicher
Disziplinen beleuchtet.
Die Universität Duisburg-Essen ist
seit jeher Ausgangs- und Schaltpunkt
vielfältiger Bestrebungen, Studien und
Trends im Bereich Mehrsprachigkeit
und Multikulturalität. 1986 wurde die
erste eigenständige Lehreinheit mit
dem Namen Deutsch als Zweit- und
Fremdsprache gegründet (mit der
deutschlandweiten ersten Professur
mit dieser Denomination, die mit
Rupprecht S. Baur besetzt wurde),
das Institut für Turkistik ist in seiner
Funktion der Lehrerbildung einzigartig
in Deutschland. Die Interkulturelle
Pädagogik setzt heute ihren
Schwerpunkt auf die Migrations- und
Heterogenitätsforschung. Für das
Institut Deutsch als Zweitsprache/
Deutsch als Fremdsprache, das 2016
sein dreißigjähriges Jubiläum feiert,
ergaben sich, als frühe Reaktion
auf die zunehmend sprachliche und
kulturelle Diversität in der Ruhrmetropole,
wichtige und grundlegende
Forschungsfragen. Ein Meilenstein,
der innerhalb der Forschung wegweisend
war und ist, ist das Projekt
„Zur sprachlichen Entwicklung
jugoslawischer, türkischer und
griechischer Jugendlicher“ (heute:
„Förderunterricht für Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund“).
Die Anfänge des Projektes
gehen auf Prof. Dr. Karl-Dieter
Bünting zurück, der dank der finanziellen
Unterstützung durch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) dieses Vorhaben bereits im
Jahre 1974 realisieren konnte. Es
wurde im Rahmen von Projekten zur
Bilingualismusforschung ins Leben
gerufen, in denen unter anderem
der Frage nachgegangen wurde, wie
mehrsprachige Kinder sprachlich
integriert werden können. Waren
es in den Anfängen 24 Kinder und
Jugendliche, die sprachlich wie fachlich
gefördert wurden, sind es heute
etwa1200 Förderschüler*innen.
(https://www. uni-due. de/imperia/
md/content/foerderunterricht/fubericht_
2016. pdf.) Aber nicht nur die
Förderung des Deutschen als Zweitund
Fremdsprache, sondern ebenso
die Förderung und Würdigung
der jeweiligen Herkunftssprachen
war von Anbeginn ein angedachtes
Anliegen. Gerade letztgenannter
Aspekt weist jedoch sowohl in der
Forschung als auch in der praktischen
Umsetzung immer noch
große Lücken auf. Freiwillige Angebote
zur Förderung der Erstsprache
wie der Zweitsprache/Fremdsprache
für alle Kinder, gleichgültig welche
Erstsprache(n) sie mitbringen, wären
ein Anfang.
So erscheint es nur logisch,
dass der Standort Essen die Neugestaltung
der Lehrerausbildung
(Lehrerausbildungsgesetz 2009)
in Nordrhein-Westfalen schneller,
konsequenter und verpflichtender
eingeführt hat als die Nachbaruniversitäten:
Lehramtsstudierende
aller Fächer erbringen Leistungen
im Modul „Grundlagenwissen
Zweitsprache Deutsch“ (kurz: DaZModul),
das vom DaZ-Institut ausgerichtet
wird und in der Bachelor-
Phase (gültig für alle Lehrämter)
verortet ist. Im Master of Education
(gilt für die Lehrämter Grundschule,
Hauptschule, Realschule,
Gesamtschule, Berufskolleg) werden
unterschiedliche Forschungsansätze
in Theorie und Didaktik vertiefend
behandelt, das Themenrepertoire
wurde zusätzlich um den Aspekt der
kulturellen und ästhetischen Bildung
erweitert. In der Vergangenheit kaum
beachtet, scheint dieses Thema im Forschungsdiskurs
gerade im schulischen
Kontext gegenwärtig prominenter
denn je zu sein. Ganzheitliches und
handlungsorientiertes Lernen verraten
eine Didaktik, in der mit allen Sinnen
Lehr-Lernkontexte gestaltet werden.
Es gibt eine Vielzahl von Gründen,
weshalb kulturelle und ästhetische
Bildung im wissenschaftlichen Diskurs
an Aktualität gewinnt. Aus der
Perspektive der Lehrerausbildung
gesehen, spielen mindestens zwei
Aspekte eine bedeutsame Rolle.
Zum einen geht es um die Bildungsteilhabe.
Ein Bildungsfaktor, der im
Kompetenz-Dschungel schulischer
Kontexte zu oft außer Acht gelassen
wird, denn es sind nicht nur Ergebnisse
der durch PISA und IGLU
durchgeführten Studien, die Auskunft
über schulischen Erfolg oder
Misserfolg geben, sondern die wenig
beachtete Studie, die sich des Themas
„Kulturelle Bildung im Lebenslauf“
(2012) (http://www. bildungsbericht.
de/de/bildungsberichte-seit-2006/
bildungsbericht-2012/pdf-bildungsbericht-
2012/h-web2012. pdf) angenommen hat. Sie macht
deutlich, dass Eltern mit niedrigem
Bildungsstand wie auch Kinder mit
Migrationshintergrund kulturelle
Angebote (Musik, bildende Kunst,
Theater etc.) sehr selten annehmen.
Die Notwendigkeit, Schüler*innen
möglichst früh auch an kultureller
Bildung teilhaben zu lassen liegt auf
der Hand.
Einmal mehr wird Sprache ins
Blickfeld gerückt. Sprachbildung
geht immer mit fachlicher Bildung
einher. Es leuchtet ein, dass ohne
sprachliches Wissen und Können
Lernern der Zugang zu kulturellen
Angeboten in Museen oder Theater
versperrt bleiben.
Ziel dieser Studieneinheiten im
Bachelor und Master ist sodann,
angehende Lehrer*innen, auf die
Alltagsrealität in sprachlich heterogenen
Klassen vorzubereiten und
ihnen didaktische Handlungsmöglichkeiten
im Rahmen einer sprachsensiblen
Unterrichtsgestaltung aufzuzeigen,
dies mit Blick auf bereits
geleistete und aktuelle Forschungen,
die sich nicht nur auf das Ruhrgebiet
begrenzen. Darüber hinaus, sie dafür
zu sensibilisieren, dass alle Mitglieder
einer Gesellschaft das verbriefte
Recht auf kulturelle und ästhetische
Bildung haben, ist sie schließlich Teil
der gesellschaftlichen Realität.
Aktuelle und
zukünftige Perspektiven
Mehrsprachigkeit und Multikulturalität
sind keine festen Entitäten, sondern
leben von den Veränderungen
und Entwicklungen ihrer Akteure
und Gruppen. Damit ist klar, dass
der Forschungsauftrag in diesem
Bereich sich stetig verändert und nie
versiegen wird. Begriffe wie Diversität
oder gar Superdiversität, wie beispielsweise
Vertovec bereits 2007 in
seinem Aufsatz Super-diversity and
its implications vorschlägt, zeigen
uns auf, wie komplex und multidimensional
Individuen, Institutionen
und Gesellschaft agieren und dass
sich zu keinem Zeitpunkt mit starren
Definitionen ein status quo festhalten
lässt. Als sogenannte Bindestrich-
Disziplinen können und müssen
Aspekte der Migration weiterhin
interdisziplinär betrachtet werden
(was bedauerlicherweise noch nicht
als selbstverständlich betrachtet
wird), zu diffizil und einseitig ist die
Einordnung nach Einzelaspekten.
Superdiversität beispielsweise lässt
sich nur durch viele Variablen wie
beispielsweise Herkunftsland,
Sprache, Alter, Aufenthaltsstatus
oder Bildung untersuchen. Im
sprachlichen Bereich zeigt uns das
Phänomen des translanguaging die
Möglichkeit, im bilingualen Unterricht
zwei Sprachen systematisch
zu nutzen. Gleichzeitig verdeutlicht
translanguaging space (diskutiert von
Wei bereits 2011 in seinem Aufsatz
Moment Analysis and translanguaging
space: Discursive construction
of identities by multilingual Chinese
youth in Britain) einen kreativen
Sprachgebrauch, der neue Praktiken
und Identitäten hervorbringt und
damit in der Soziolinguistik nach
neuen Untersuchungszugängen fordert.
Translanguaging symbolisiert
aber auch ein neues Verständnis
der Sprachperformanz mehrsprachiger
Sprecher*innen und versteht
sich eventuell als Ergänzung oder
Alternative zu Eigenschaften wie
zwei- oder mehrsprachig (García &
Wei führen dies gründlich in ihrem
2014 erschienenen Buch Translanguaging:
Language, Bilingualism and
Education). Ohnehin lässt sich die
Erwerbsform und die Bezeichnung
für Sprecher*innen im Zeitalter der
Superdiversität nicht mehr eindimensional
(z. B. nach Nationalität
oder Herkunftssprache der Eltern)
bestimmen. Ob wir von simultan
oder sukzessiv zweisprachig sprechen,
ob dies durch die Eltern allein oder
mithilfe von Umgebung oder Institutionen
geschieht, ob man mit zwei
oder drei Sprachen von klein auf konfrontiert
wird, ob wir es Deutsch als
Zweit- (DaZ), als Fremd- (DaF) oder
als zusätzliche Sprache (DazS, wofür
Cantone seit langem plädiert) benennen:
Das Kaleidoskop der Mehrsprachigkeit
bietet vielfältige Möglichkeiten
des Erwerbs und hoffentlich
Erhalts vieler Sprachen durch ein
Individuum oder einer Gesellschaft.
Aktueller Band
So werden in dieser UNIKATEAusgabe
Beiträge des Instituts DaF/
DaZ sowie weiterer Institute der UDE
gebündelt, die aus bildungswissenschaftlicher,
linguistischer, didaktischer
und sozialwissenschaftlicher Perspektive
auf das Leitthema Mehrsprachigkeit
blicken, und den Ist-Zustand der
hörbaren wie sichtbaren kulturellen
Diversität in der Ruhrmetropole
transparent machen. Im hochschulinternen
Kontext ist die Bewusstmachung
und die Sensibilisierung für
Diversität hinsichtlich von Sprachen
und von Kulturen bedeutsam für die
Gegenwart und die Zukunft. Dieser
Leitgedanke eint die vorliegenden
Beiträge. Die in diesem Band beteiligten
Akteure stehen stellvertretend
für viele weitere Kolleg*innen, die
sich mit allen Facetten der Begriffe
„Mehrsprachigkeit“ und „Multikulturalität“
fachwissenschaftlich wie
didaktisch auseinandersetzen. Dass
die Forschung noch lange nicht abgeschlossen
ist, zeigen die noch vielen
offenen Fragen, die in den spannenden
Beiträgen diskutiert werden.
Der Band beginnt mit einem
Kommentar von Rupprecht S. Baur
UNIKATE 49/2016 9
und einem Interview mit Wilhelm
Grießhaber zur Mehrsprachigkeit
in der Ruhrmetropole. Frühere und
aktuelle Studien werden im Beitrag
von Katja F. Cantone und Laura Di
Venanzio überblickshaft vorgestellt
und zeigen die ersten Gehversuche
rund um das Arbeitsfeld Spracherwerb
von Kindern und Jugendlichen,
deren Erstsprache nicht
(nur) Deutsch ist. Die mehrere Jahre
umfassende Forschung ist noch lange
nicht abgeschlossen und dies machen
die Diskussionsansätze am Ende des
Beitrags deutlich. Es stellen sich alte
Fragen vor neuen gesellschaftlichen
Herausforderungen wie zum Beispiel
rund um das Thema „Sprachprestige“.
Der zweite Aufsatz des
vorliegenden Bandes versteht sich als
state-of-the-art-Beitrag und präsentiert
Förderprojekte mit einem speziellen
Fokus: Anastasia Moraitis
plädiert in ihrem Beitrag für eine
multikulturelle Schule in einer multikulturellen
Gesellschaft, in der
Aspekte der ästhetischen und kulturellen
Bildung zum Alltag gehören.
Um dies zu unterstreichen, diskutiert
sie Ergebnisse von Studien zu erfolgreichen
Faktoren der Bildungsteilhabe
und stellt innovative Sprachförderprojekte
vor, die auf den Ausbau
der ästhetischen Bildung setzen. In
ihrem Beitrag zur visuellen Mehrsprachigkeit
im Ruhrgebiet stellen
Tirza Mühlan-Meyer, Evelyn Ziegler
und Haci-Halil Uslucan Ergebnisse
aus dem Projekt „Metropolenzeichen“,
das vom Mercator Research
Center Ruhr gefördert wird, dar.
Unter anderem wird dabei diskutiert,
wie eine große Anzahl systematisch
erfasster ein-, mehr- oder anderssprachigen
Sprachvorkommen (bspw.
Straßennamenschilder, Graffitis oder
Geschäftsbeschilderungen) wahrgenommen
und bewertet wird. Daniel
Reimann beginnt seinen Aufsatz mit
einem Überblick der Geschichte der
Mehrsprachigkeitsdidaktik vom 15.
Jahrhundert bis heute. Die aktuelle
Forschung wird vom von ihm vorgeschlagenen
Begriff „aufgeklärte
Mehrsprachigkeit“ geprägt. Diese
beinhaltet sieben Diskurs- und
Handlungsfelder wie beispielsweise
„produktive Fertigkeiten und Teilkompetenzen“
oder „transkulturelle
kommunikative Kompetenz“. Des
Weiteren werden vier empirische Studien
vorgestellt, die Felder der aufgeklärten
Mehrsprachigkeit („Deutsch
als Muttersprache/Deutsch als
Fremd- und Zweitsprache“, „Herkunfts-
und Familiensprachen“,
„rezeptive Varietätenkompetenz“)
aufgreifen und Einstellungen zu
Mehrsprachigkeit von Lehramtsstudierenden
und Fremdsprachenlehrkräften
überprüfen. Erste Ergebnisse
der wissenschaftlichen Begleitung
des Projekts Sprachsensible Schulentwicklung
werden im Aufsatz von
Denise Demski, Kathrin Racherbäumer
und Isabell van Ackeren
vorgestellt. Das Projekt wirkt an 33
Schulen in Nordrhein-Westfalen und
verfolgt das Ziel der Sensibilisierung
von Lehrkräften und Schulleitungen
mit Hinblick auf Mehrsprachigkeit
und Heterogenität, was unter anderem
über Fortbildungen zu Themen
wie „Mehrsprachigkeit in der
Schule“, „Diagnose und Förderung
im Fachunterricht/Deutschunterricht“
oder „Entwicklung professioneller
Lerngemeinschaften“ erfolgen
soll. Mittels eines standardisierten
Fragebogens sind interessante Daten
zur Einstellung der an den Schulen
wirkenden Personen erfasst worden,
bspw. zur Wichtigkeit der Bildungssprache.
Im Beitrag von Işıl Uluçam-
Wegmann, Heike Roll und Erkan
Gürsoy wird das Forschungsprojekt
SchrifT, das im Rahmen des BMBFSchwerpunktes
„Sprachbildung und
Mehrsprachigkeit“ seit 2014 gefördert
wird und unter Beteiligung der
Institute für Deutsch als Zweit- und
Fremdsprache, für Turkistik sowie
der Fachdidaktiken Technik, Politik,
Geschichte und Physik stattfindet,
vorgestellt. Eines der vom Projekt
verfolgten Ziele besteht darin, den
Einfluss des deutsch-türkischen
Sprachgebrauchs auf die Schreibleistungen
im Deutschen und Türkischen
bei Schüler*innen der 7. und
8. Jahrgangsstufe zu untersuchen.
Die Ergebnisse plädieren für den
Erhalt der Herkunftssprache und der
Mehrsprachigkeit in den Folgegenerationen,
wofür auch institutionelle
Maßnahmen entscheidend sind.
Die Autorin Halina Leontiy
fokussiert in ihrem Aufsatz jene in
Deutschland lebende Gruppe der
sogenannten (Spät-)Aussiedler*innen
(vorwiegend sog. „Russlanddeutsche“
aus der ehemaligen Sowjetunion).
Konkret geht es um die Herausstellung
von sprachlichen identitätsstiftenden
Merkmalen während der
Alltagskommunikation von Studierenden
einer Generation, die nur wenig
Bindung zur deutschen Sprache und
Kultur hat. Darüber hinaus werden
auch Gegenstände des alltäglichen
Gebrauchs in den Blick genommen,
die einerseits die Individualität der
jeweiligen Person innerhalb der
Sprachgemeinschaft konturieren. Es
werden andererseits identitätsstiftende
Stereotype herangezogen, die das
Gemeinschaftsgefühl der Personen
ansprechen und auf humorvolle Weise
so die Brücke zur deutschen Sprache
(nicht nur), besonders aber zur Kultur
aufbauen.
Jana Kaulvers, Gülşah Mavruk
und Jan Strobl stellen in ihrem Beitrag
Teilprojekte des seit 2010 durch
die Stiftung Mercator, durch das Ministerium
für Schule und Weiterbildung
des Landes Nordrhein-Westfalen und
durch das Ministerium für Innovation,
Wissenschaft und Forschung
des Landes Nordrhein-Westfalen
geförderten Modellprojekts ProDaZ
(Deutsch als Zweitsprache in allen
Fächern) auszugsweise vor. Beispielsweise
sollen im Projekt „Rappen als
Methode der Sprachförderung“, das
seit 2013 an verschiedenen Schulen
angeboten wird, Schüler*innen über
den Weg des Rapps motiviert werden,
Sprache anzuwenden.
Wir wünschen Ihnen einen
anregende Lektüre!
Katja F. Cantone
Anastasia Moraitis
seit Jahrzehnten prägen Vielfältigkeit
und Individualität das Leben in der
Ruhrmetropole. Flüchtige Begegnungen
mit kaum identifizierbaren
Wortfetzen immer noch exotisch
scheinender Sprachen lassen erahnen,
dass Menschen unterschiedlicher
Sprachen und Kulturen die urbane
Landschaft in der Ruhrmetropole
bunter gestalten, gleichzeitig jedoch
dieser geographischen Region ihren
individuellen Charakter verleihen.
Durch Migration sind neue
Heimat(en) entstanden, es begegnen
sich viele Sprachen, persönliche
Lebensgeschichten und Lebenswege
befinden sich im Wandel, kulturelle
Anker aus der Heimat verlieren an
Bedeutung oder werden stärker denn
je. Ein dynamischer Wandel, der
in unserer Gesellschaft auditiv wie
visuell wahrnehmbar ist. Es ist unbestritten:
MEHRsprachigkeit und
MULTIkulturalität ist in unserem
Alltag längst präsent.
Ein Angelpunkt deutscher
Migrationsgeschichte steht im
Zusammenhang mit dem Anwerbeabkommen,
das Deutschland mit
Ländern des Südens vereinbart hatte.
Als vor mehr als fünfzig Jahren
Menschen ihre Heimat verließen und
sich auf den Weg nach Deutschland
machten, erwartete sie, laut Anwerbeabkommen,
Lohn und Brot. Niemand
war so weitsichtig genug auch
nur annähernd zu erahnen, dass diese
Menschen sich dazu entschließen
würden, nicht nur hier zu bleiben,
sondern auch ihre Familien nachzuholen.
Die sogenannten „Gastarbeiter“,
wie diese Menschen etikettiert
wurden, reisten unter anderem aus
Italien (1955), Griechenland, Spanien
(1960) und der Türkei (1961)
an und wurden per Arbeitsvertrag
für einen zeitlich begrenzten und
somit vermeintlich kontrollierbaren
Zeitrahmen angeworben. Doch wie
die Geschichte gezeigt hat, kam es
anders. Nicht zu vergessen ist eine
weitere Gruppe von Zuwanderern,
die als Russlanddeutsche bezeichnet
werden, und die Migrationsgeschichte
Deutschlands nicht weniger
geprägt haben, wie das Kompetenzzentrum
für Integration der Bezirksregierung
Arnsberg eindrucksvoll
dokumentiert. Gegenwärtig verlassen
Menschen (vorwiegend aus
Syrien, Afghanistan und dem Irak)
ihre Heimat aufgrund kriegerischer,
politischer oder sozioökonomischer
Gründe und bitten in Deutschland
um Asyl. So konstatiert das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) in seinem aktuellen Bericht
vom April 2016, dass 59.680 Erstanträge
entgegengenommen wurden,
eine Zahl, die stetig nach oben korrigiert
wird. Damals wie heute gilt es
Menschen in gesellschaftliche Strukturen
einzubinden und sie als Teil
einer immer im Wandel stehenden
Gesellschaft wahrzunehmen, und die
daraus resultierenden dynamischen
Veränderungen zu beleuchten und
zukunftsweisend zu interpretieren.
Ziel einer Gesellschaft sollte es sein,
Kulturen und Sprachen den Raum zu
geben, innerhalb dessen sie sich entwickeln
können. Dass sich dieser Weg als
nicht unproblematisch gestaltet, diskutiert
Rupprecht S. Baur in seinem
Kommentar zu diesem Band.
Der Standort Essen
In Essen, an der Universität Duisburg-
Essen, (die stellvertretend für
weitere Universitäten steht) haben sich
viele Forscher*innen bereits in den
1970er Jahren diesen dynamischen,
die Gesellschaft verändernden Prozessen
gewidmet und diese aus dem
Blickwinkel unterschiedlicher wissenschaftlicher
Disziplinen beleuchtet.
Die Universität Duisburg-Essen ist
seit jeher Ausgangs- und Schaltpunkt
vielfältiger Bestrebungen, Studien und
Trends im Bereich Mehrsprachigkeit
und Multikulturalität. 1986 wurde die
erste eigenständige Lehreinheit mit
dem Namen Deutsch als Zweit- und
Fremdsprache gegründet (mit der
deutschlandweiten ersten Professur
mit dieser Denomination, die mit
Rupprecht S. Baur besetzt wurde),
das Institut für Turkistik ist in seiner
Funktion der Lehrerbildung einzigartig
in Deutschland. Die Interkulturelle
Pädagogik setzt heute ihren
Schwerpunkt auf die Migrations- und
Heterogenitätsforschung. Für das
Institut Deutsch als Zweitsprache/
Deutsch als Fremdsprache, das 2016
sein dreißigjähriges Jubiläum feiert,
ergaben sich, als frühe Reaktion
auf die zunehmend sprachliche und
kulturelle Diversität in der Ruhrmetropole,
wichtige und grundlegende
Forschungsfragen. Ein Meilenstein,
der innerhalb der Forschung wegweisend
war und ist, ist das Projekt
„Zur sprachlichen Entwicklung
jugoslawischer, türkischer und
griechischer Jugendlicher“ (heute:
„Förderunterricht für Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund“).
Die Anfänge des Projektes
gehen auf Prof. Dr. Karl-Dieter
Bünting zurück, der dank der finanziellen
Unterstützung durch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) dieses Vorhaben bereits im
Jahre 1974 realisieren konnte. Es
wurde im Rahmen von Projekten zur
Bilingualismusforschung ins Leben
gerufen, in denen unter anderem
der Frage nachgegangen wurde, wie
mehrsprachige Kinder sprachlich
integriert werden können. Waren
es in den Anfängen 24 Kinder und
Jugendliche, die sprachlich wie fachlich
gefördert wurden, sind es heute
etwa1200 Förderschüler*innen.
(https://www. uni-due. de/imperia/
md/content/foerderunterricht/fubericht_
2016. pdf.) Aber nicht nur die
Förderung des Deutschen als Zweitund
Fremdsprache, sondern ebenso
die Förderung und Würdigung
der jeweiligen Herkunftssprachen
war von Anbeginn ein angedachtes
Anliegen. Gerade letztgenannter
Aspekt weist jedoch sowohl in der
Forschung als auch in der praktischen
Umsetzung immer noch
große Lücken auf. Freiwillige Angebote
zur Förderung der Erstsprache
wie der Zweitsprache/Fremdsprache
für alle Kinder, gleichgültig welche
Erstsprache(n) sie mitbringen, wären
ein Anfang.
So erscheint es nur logisch,
dass der Standort Essen die Neugestaltung
der Lehrerausbildung
(Lehrerausbildungsgesetz 2009)
in Nordrhein-Westfalen schneller,
konsequenter und verpflichtender
eingeführt hat als die Nachbaruniversitäten:
Lehramtsstudierende
aller Fächer erbringen Leistungen
im Modul „Grundlagenwissen
Zweitsprache Deutsch“ (kurz: DaZModul),
das vom DaZ-Institut ausgerichtet
wird und in der Bachelor-
Phase (gültig für alle Lehrämter)
verortet ist. Im Master of Education
(gilt für die Lehrämter Grundschule,
Hauptschule, Realschule,
Gesamtschule, Berufskolleg) werden
unterschiedliche Forschungsansätze
in Theorie und Didaktik vertiefend
behandelt, das Themenrepertoire
wurde zusätzlich um den Aspekt der
kulturellen und ästhetischen Bildung
erweitert. In der Vergangenheit kaum
beachtet, scheint dieses Thema im Forschungsdiskurs
gerade im schulischen
Kontext gegenwärtig prominenter
denn je zu sein. Ganzheitliches und
handlungsorientiertes Lernen verraten
eine Didaktik, in der mit allen Sinnen
Lehr-Lernkontexte gestaltet werden.
Es gibt eine Vielzahl von Gründen,
weshalb kulturelle und ästhetische
Bildung im wissenschaftlichen Diskurs
an Aktualität gewinnt. Aus der
Perspektive der Lehrerausbildung
gesehen, spielen mindestens zwei
Aspekte eine bedeutsame Rolle.
Zum einen geht es um die Bildungsteilhabe.
Ein Bildungsfaktor, der im
Kompetenz-Dschungel schulischer
Kontexte zu oft außer Acht gelassen
wird, denn es sind nicht nur Ergebnisse
der durch PISA und IGLU
durchgeführten Studien, die Auskunft
über schulischen Erfolg oder
Misserfolg geben, sondern die wenig
beachtete Studie, die sich des Themas
„Kulturelle Bildung im Lebenslauf“
(2012) (http://www. bildungsbericht.
de/de/bildungsberichte-seit-2006/
bildungsbericht-2012/pdf-bildungsbericht-
2012/h-web2012. pdf) angenommen hat. Sie macht
deutlich, dass Eltern mit niedrigem
Bildungsstand wie auch Kinder mit
Migrationshintergrund kulturelle
Angebote (Musik, bildende Kunst,
Theater etc.) sehr selten annehmen.
Die Notwendigkeit, Schüler*innen
möglichst früh auch an kultureller
Bildung teilhaben zu lassen liegt auf
der Hand.
Einmal mehr wird Sprache ins
Blickfeld gerückt. Sprachbildung
geht immer mit fachlicher Bildung
einher. Es leuchtet ein, dass ohne
sprachliches Wissen und Können
Lernern der Zugang zu kulturellen
Angeboten in Museen oder Theater
versperrt bleiben.
Ziel dieser Studieneinheiten im
Bachelor und Master ist sodann,
angehende Lehrer*innen, auf die
Alltagsrealität in sprachlich heterogenen
Klassen vorzubereiten und
ihnen didaktische Handlungsmöglichkeiten
im Rahmen einer sprachsensiblen
Unterrichtsgestaltung aufzuzeigen,
dies mit Blick auf bereits
geleistete und aktuelle Forschungen,
die sich nicht nur auf das Ruhrgebiet
begrenzen. Darüber hinaus, sie dafür
zu sensibilisieren, dass alle Mitglieder
einer Gesellschaft das verbriefte
Recht auf kulturelle und ästhetische
Bildung haben, ist sie schließlich Teil
der gesellschaftlichen Realität.
Aktuelle und
zukünftige Perspektiven
Mehrsprachigkeit und Multikulturalität
sind keine festen Entitäten, sondern
leben von den Veränderungen
und Entwicklungen ihrer Akteure
und Gruppen. Damit ist klar, dass
der Forschungsauftrag in diesem
Bereich sich stetig verändert und nie
versiegen wird. Begriffe wie Diversität
oder gar Superdiversität, wie beispielsweise
Vertovec bereits 2007 in
seinem Aufsatz Super-diversity and
its implications vorschlägt, zeigen
uns auf, wie komplex und multidimensional
Individuen, Institutionen
und Gesellschaft agieren und dass
sich zu keinem Zeitpunkt mit starren
Definitionen ein status quo festhalten
lässt. Als sogenannte Bindestrich-
Disziplinen können und müssen
Aspekte der Migration weiterhin
interdisziplinär betrachtet werden
(was bedauerlicherweise noch nicht
als selbstverständlich betrachtet
wird), zu diffizil und einseitig ist die
Einordnung nach Einzelaspekten.
Superdiversität beispielsweise lässt
sich nur durch viele Variablen wie
beispielsweise Herkunftsland,
Sprache, Alter, Aufenthaltsstatus
oder Bildung untersuchen. Im
sprachlichen Bereich zeigt uns das
Phänomen des translanguaging die
Möglichkeit, im bilingualen Unterricht
zwei Sprachen systematisch
zu nutzen. Gleichzeitig verdeutlicht
translanguaging space (diskutiert von
Wei bereits 2011 in seinem Aufsatz
Moment Analysis and translanguaging
space: Discursive construction
of identities by multilingual Chinese
youth in Britain) einen kreativen
Sprachgebrauch, der neue Praktiken
und Identitäten hervorbringt und
damit in der Soziolinguistik nach
neuen Untersuchungszugängen fordert.
Translanguaging symbolisiert
aber auch ein neues Verständnis
der Sprachperformanz mehrsprachiger
Sprecher*innen und versteht
sich eventuell als Ergänzung oder
Alternative zu Eigenschaften wie
zwei- oder mehrsprachig (García &
Wei führen dies gründlich in ihrem
2014 erschienenen Buch Translanguaging:
Language, Bilingualism and
Education). Ohnehin lässt sich die
Erwerbsform und die Bezeichnung
für Sprecher*innen im Zeitalter der
Superdiversität nicht mehr eindimensional
(z. B. nach Nationalität
oder Herkunftssprache der Eltern)
bestimmen. Ob wir von simultan
oder sukzessiv zweisprachig sprechen,
ob dies durch die Eltern allein oder
mithilfe von Umgebung oder Institutionen
geschieht, ob man mit zwei
oder drei Sprachen von klein auf konfrontiert
wird, ob wir es Deutsch als
Zweit- (DaZ), als Fremd- (DaF) oder
als zusätzliche Sprache (DazS, wofür
Cantone seit langem plädiert) benennen:
Das Kaleidoskop der Mehrsprachigkeit
bietet vielfältige Möglichkeiten
des Erwerbs und hoffentlich
Erhalts vieler Sprachen durch ein
Individuum oder einer Gesellschaft.
Aktueller Band
So werden in dieser UNIKATEAusgabe
Beiträge des Instituts DaF/
DaZ sowie weiterer Institute der UDE
gebündelt, die aus bildungswissenschaftlicher,
linguistischer, didaktischer
und sozialwissenschaftlicher Perspektive
auf das Leitthema Mehrsprachigkeit
blicken, und den Ist-Zustand der
hörbaren wie sichtbaren kulturellen
Diversität in der Ruhrmetropole
transparent machen. Im hochschulinternen
Kontext ist die Bewusstmachung
und die Sensibilisierung für
Diversität hinsichtlich von Sprachen
und von Kulturen bedeutsam für die
Gegenwart und die Zukunft. Dieser
Leitgedanke eint die vorliegenden
Beiträge. Die in diesem Band beteiligten
Akteure stehen stellvertretend
für viele weitere Kolleg*innen, die
sich mit allen Facetten der Begriffe
„Mehrsprachigkeit“ und „Multikulturalität“
fachwissenschaftlich wie
didaktisch auseinandersetzen. Dass
die Forschung noch lange nicht abgeschlossen
ist, zeigen die noch vielen
offenen Fragen, die in den spannenden
Beiträgen diskutiert werden.
Der Band beginnt mit einem
Kommentar von Rupprecht S. Baur
UNIKATE 49/2016 9
und einem Interview mit Wilhelm
Grießhaber zur Mehrsprachigkeit
in der Ruhrmetropole. Frühere und
aktuelle Studien werden im Beitrag
von Katja F. Cantone und Laura Di
Venanzio überblickshaft vorgestellt
und zeigen die ersten Gehversuche
rund um das Arbeitsfeld Spracherwerb
von Kindern und Jugendlichen,
deren Erstsprache nicht
(nur) Deutsch ist. Die mehrere Jahre
umfassende Forschung ist noch lange
nicht abgeschlossen und dies machen
die Diskussionsansätze am Ende des
Beitrags deutlich. Es stellen sich alte
Fragen vor neuen gesellschaftlichen
Herausforderungen wie zum Beispiel
rund um das Thema „Sprachprestige“.
Der zweite Aufsatz des
vorliegenden Bandes versteht sich als
state-of-the-art-Beitrag und präsentiert
Förderprojekte mit einem speziellen
Fokus: Anastasia Moraitis
plädiert in ihrem Beitrag für eine
multikulturelle Schule in einer multikulturellen
Gesellschaft, in der
Aspekte der ästhetischen und kulturellen
Bildung zum Alltag gehören.
Um dies zu unterstreichen, diskutiert
sie Ergebnisse von Studien zu erfolgreichen
Faktoren der Bildungsteilhabe
und stellt innovative Sprachförderprojekte
vor, die auf den Ausbau
der ästhetischen Bildung setzen. In
ihrem Beitrag zur visuellen Mehrsprachigkeit
im Ruhrgebiet stellen
Tirza Mühlan-Meyer, Evelyn Ziegler
und Haci-Halil Uslucan Ergebnisse
aus dem Projekt „Metropolenzeichen“,
das vom Mercator Research
Center Ruhr gefördert wird, dar.
Unter anderem wird dabei diskutiert,
wie eine große Anzahl systematisch
erfasster ein-, mehr- oder anderssprachigen
Sprachvorkommen (bspw.
Straßennamenschilder, Graffitis oder
Geschäftsbeschilderungen) wahrgenommen
und bewertet wird. Daniel
Reimann beginnt seinen Aufsatz mit
einem Überblick der Geschichte der
Mehrsprachigkeitsdidaktik vom 15.
Jahrhundert bis heute. Die aktuelle
Forschung wird vom von ihm vorgeschlagenen
Begriff „aufgeklärte
Mehrsprachigkeit“ geprägt. Diese
beinhaltet sieben Diskurs- und
Handlungsfelder wie beispielsweise
„produktive Fertigkeiten und Teilkompetenzen“
oder „transkulturelle
kommunikative Kompetenz“. Des
Weiteren werden vier empirische Studien
vorgestellt, die Felder der aufgeklärten
Mehrsprachigkeit („Deutsch
als Muttersprache/Deutsch als
Fremd- und Zweitsprache“, „Herkunfts-
und Familiensprachen“,
„rezeptive Varietätenkompetenz“)
aufgreifen und Einstellungen zu
Mehrsprachigkeit von Lehramtsstudierenden
und Fremdsprachenlehrkräften
überprüfen. Erste Ergebnisse
der wissenschaftlichen Begleitung
des Projekts Sprachsensible Schulentwicklung
werden im Aufsatz von
Denise Demski, Kathrin Racherbäumer
und Isabell van Ackeren
vorgestellt. Das Projekt wirkt an 33
Schulen in Nordrhein-Westfalen und
verfolgt das Ziel der Sensibilisierung
von Lehrkräften und Schulleitungen
mit Hinblick auf Mehrsprachigkeit
und Heterogenität, was unter anderem
über Fortbildungen zu Themen
wie „Mehrsprachigkeit in der
Schule“, „Diagnose und Förderung
im Fachunterricht/Deutschunterricht“
oder „Entwicklung professioneller
Lerngemeinschaften“ erfolgen
soll. Mittels eines standardisierten
Fragebogens sind interessante Daten
zur Einstellung der an den Schulen
wirkenden Personen erfasst worden,
bspw. zur Wichtigkeit der Bildungssprache.
Im Beitrag von Işıl Uluçam-
Wegmann, Heike Roll und Erkan
Gürsoy wird das Forschungsprojekt
SchrifT, das im Rahmen des BMBFSchwerpunktes
„Sprachbildung und
Mehrsprachigkeit“ seit 2014 gefördert
wird und unter Beteiligung der
Institute für Deutsch als Zweit- und
Fremdsprache, für Turkistik sowie
der Fachdidaktiken Technik, Politik,
Geschichte und Physik stattfindet,
vorgestellt. Eines der vom Projekt
verfolgten Ziele besteht darin, den
Einfluss des deutsch-türkischen
Sprachgebrauchs auf die Schreibleistungen
im Deutschen und Türkischen
bei Schüler*innen der 7. und
8. Jahrgangsstufe zu untersuchen.
Die Ergebnisse plädieren für den
Erhalt der Herkunftssprache und der
Mehrsprachigkeit in den Folgegenerationen,
wofür auch institutionelle
Maßnahmen entscheidend sind.
Die Autorin Halina Leontiy
fokussiert in ihrem Aufsatz jene in
Deutschland lebende Gruppe der
sogenannten (Spät-)Aussiedler*innen
(vorwiegend sog. „Russlanddeutsche“
aus der ehemaligen Sowjetunion).
Konkret geht es um die Herausstellung
von sprachlichen identitätsstiftenden
Merkmalen während der
Alltagskommunikation von Studierenden
einer Generation, die nur wenig
Bindung zur deutschen Sprache und
Kultur hat. Darüber hinaus werden
auch Gegenstände des alltäglichen
Gebrauchs in den Blick genommen,
die einerseits die Individualität der
jeweiligen Person innerhalb der
Sprachgemeinschaft konturieren. Es
werden andererseits identitätsstiftende
Stereotype herangezogen, die das
Gemeinschaftsgefühl der Personen
ansprechen und auf humorvolle Weise
so die Brücke zur deutschen Sprache
(nicht nur), besonders aber zur Kultur
aufbauen.
Jana Kaulvers, Gülşah Mavruk
und Jan Strobl stellen in ihrem Beitrag
Teilprojekte des seit 2010 durch
die Stiftung Mercator, durch das Ministerium
für Schule und Weiterbildung
des Landes Nordrhein-Westfalen und
durch das Ministerium für Innovation,
Wissenschaft und Forschung
des Landes Nordrhein-Westfalen
geförderten Modellprojekts ProDaZ
(Deutsch als Zweitsprache in allen
Fächern) auszugsweise vor. Beispielsweise
sollen im Projekt „Rappen als
Methode der Sprachförderung“, das
seit 2013 an verschiedenen Schulen
angeboten wird, Schüler*innen über
den Weg des Rapps motiviert werden,
Sprache anzuwenden.
Wir wünschen Ihnen einen
anregende Lektüre!
Katja F. Cantone
Anastasia Moraitis