„Die – in der Linguistik allgemein gültige und nicht in Frage stehende – Aussage, dass die deutsche Sprache ein System sei, das fortwährend Entwickllungen unterliege (wie jede andere Sprache auch), die sich gerade auch am Wortschatz und seinem Zuschnitt bzw. seiner Gestalt sehr gut ablesen lassen, wird mit dem DWEE-Projekt auf beeindruckende und überzeugende Weise (neuerlich) belegt. Jedoch ist damit nicht das prinzipielle Anliegen des Forschungsprojektes benannt, das vielmehr in der präzisen wortfeldbezogenen und diachronen Deskription des Wortschatzes und seiner europäischen Zusammenhänge und Bedingungen besteht. Dennoch ist es auch dieser Aspekt, der etwa den linguistischen Laien uneingeschränkt überzeugen dürfte. Nicht zuletzt ist dieses Projekt die wohl erste so umfassende systematische Unternehmung, die genannten
Wortschatzbeziehungen und -inhalte zu erfassen und zudem im Internet allgemein zugänglich zu machen. Damit wäre der
fachliche Wert und Stellenwert des Bandes und dieses Projektes benannt, auf dessen Fortfuhrung man unbedingt gespannt
sein darf.“
Stephan Krause
In: http://www. literaturkritik. de/public/rezension. php? rez_id=18946; 01.07.2014.
An der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig läuft seit 2007 das Projekt „Deutsche Wortfeldetymologie in europäischem Kontext – Der Mensch in Natur und Kultur“ (DWEE). In diesem Projekt wird der auf den Menschen bezogene Substantiv-Wortschatz des Deutschen vom Althochdeutschen bis zur Gegenwartssprache nach Wortfeldern gegliedert in semantischer und etymologischer Hinsicht untersucht. Das DWEE beschränkt sich dabei nicht, wie bisher üblich, auf die Beschreibung der lautlichen, morphologischen und semantischen Veränderungen vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen, sondern erklärt diese Veränderungen vor dem Hintergrund der Interaktion mit anderen Wörtern innerhalb desselben (Teil)Wortfeldes. Dadurch ergeben sich u. a. neue Einblicke in die Mechanismen des Sprachwandels. Kopf ist ein Lehnwort aus lat. cuppa „Becher, Schale, Tasse“ und hatte im Althochdeutschen fast ausschließlich die Bedeutung „Becher, Schale“. Zum Neuhochdeutschen hin hat sich also die Semantik grundlegend geändert. Auslöser dafür war das Merkmal , unterstützt durch Komposita wie ahd. hirnikopf „Hirn-Schale; Hinterkopf“. Durch Metonymie wurde das Wort Kopf dann auf den ganzen Kopf übertragen. Vom frühen Mittelhochdeutschen bis zum älteren Nhd. bestanden beide Bedeutungen nebeneinander, wobei die Häufigkeit von „Becher, Schale“ abnahm, die von „Kopf“ dagegen zunahm. Die alte Bedeutung liegt nur noch in dem Kompositum Schröpfkopf vor. Im Sog des semantischen Wandels von Kopf „Becher, Schale“ zu „Kopf“ veränderte sich auch das ahd. Wort houbit „Kopf, Haupt“ und wurde zu einem Ausdruck für „Erster, Anführer“ z. B. in Hauptmann u.ä., weil die Bedeutung „Kopf“ zunehmend durch das Wort Kopf ausgedrückt wurde. Als Simplex in der Bedeutung „Kopf“ ist Haupt also an den Rand der Sprache gedrückt worden und wird heute nur noch im gehobenen Kontext verwendet. Eine semantische Parallele ist die Entwicklung von lat. testa „Geschirr, Topf“, das schon im Lat. die Bedeutung „Hirnschale“ annahm und in ital. testa und frz. tête zum normalen Wort für „Kopf“ geworden ist. Auge sollte im Nhd. eigentlich Age lauten (urgerman. *agōn). Die bisherige Forschung erklärt den Anlaut Au- aus dem urgerman. Genitiv *auens. Unterstützend wirkten dabei die häufigen Kollokationen mit Ohr (urgerman. *auzan-), die schon seit dem Gotischen (z. B. augona habandans ni gasaihiþ, jah ausona habandans ni gahauseiþ „Augen habend seht ihr nicht, und Ohren habend hört ihr nicht“) bezeugt sind. Die Einbindung des Deutschen in die sprachliche Vielfalt Europas zeigt sich nicht nur an den importierten, sondern auch an den exportierten Wörtern. Deshalb werden im Projekt die zum Wortfeld gehörenden Germanismen gesammelt und geordnet. Interessant sind hier u. a. die Entlehnungswege: Das Mittelniederdeutsche war die Lingua franca der Hanse. Von hier gelangten viele Wörter in die Sprachen im Einzugsgebiet dieses Verbundes. Ein Beispiel dafür ist mittelenglisch knokel, neuenglisch knuckle „Gelenk; Fingergelenk“, das wahrscheinlich auf mittelniederdeutsch knökel „Knöchel“ zurückgeht. Parallel zu der forschungsorientierten Datenbank, in der die Projektergebnisse publiziert werden, enthält der Printband Überlegungen zu den methodischen Grundlagen des Projekts und beispielhafte Auswertungen der untersuchten Wortfelder. Das Projekt DWEE ist auf mehrere Wortfelder angelegt, die in acht Bänden veröffentlicht werden: Band 1: Der Mensch und sein Körper Band 2: Der Mensch im Alltag Band 3: Der Mensch und MitmenschBand 4: Religion und EthikBand 5: Mensch und Recht Band 6: Mensch und Wirtschaft Band 7: Mensch und Wissenschaft und Kunst Band 8: Mensch und neue Technologien