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Ein Ringen mit dem Engel
Essays, Gedichte und Bilder zur Gestalt des Jakob
herausgegeben von Richard RiessDer biblische Jakob gleicht dem modernen Menschen von heute: Er ist auf der Flucht vor sich selbst oder auf der Suche nach der eigenen Identität, er fühlt sich manches Mal fremd in der Welt und strebt doch mit allen Mitteln nach Erfolg. Wer die Jakobsgeschichte aufmerksam liest, kann sich der Ahnung nicht erwehren, dass sich in ihr die ganze Dramatik des menschlichen Lebens widerspiegelt. Man könnte bei ihr von einem Drehbuch sprechen: für das ganze Auf und Ab, die Glückseligkeit des Tages und die Träume der Nacht, das Unheil und die Bewahrung, die Liebe und den Tod des Menschen. Nicht ohne Grund nehmen auch die Erfahrungen von Konflikt und Segen in dieser klassischen Erzählung einen solchen Raum ein. In der Jakobserzählung kommt die urmenschliche Sehnsucht nach Segen zum Ausdruck. In der Welt Jakobs steht der Begriff »Segen« für das, was unsere Zeit mit »Erfolg« meint. Und das Streben nach Erfolg spielt auch bei uns eine gewaltige Rolle: Im Beruf wie im persönlichen Alltag macht Erfolg glücklich. Dabei geht es um das Elementarste in dieser Welt: um Wohl und Gedeihen von Mensch, Tier und Pflanze – eine ökologische Einheit, deren Erhaltung uns von Tag zu Tag immer dringlicher wird. In den Beiträgen der vierzig Autoren wird klar, dass die Erzählung von Jakob etwas schildert, wofür der Begriff »Erzählung« zu eng und der Begriff »Geschichte« zu belastet ist. Diese Story lässt sich der Ilias oder dem Nibelungenlied an die Seite stellen, denn es geht in ihr nicht nur um die Geschichte Gottes mit dem Menschen oder um Glück und Leid, Kampf und Frieden des Einzelnen, sondern auch um die Vision und die Perspektiven für ein Volk, eine Kultur, einen Glauben. Hinter der Erzählung von Jakob steht die Mitteilung eines Autors oder Redaktors, und wer sie versteht, teilt auch die Erinnerungen und Hoffnungen, die sich mit ihr verbinden.