REMAX Jahreskalender 2022

Auszug

ICH LIEBE DAS SCHWEIGEN
EINE ANNÄHERUNG AN DIE FOTO-KLÄNGE
VON PAULA DE LEMOS
Ich liebe das Schweigen. Doch wenn langsam die Drumsticks den Tag anspielen,
suchen die Augen nach dem Licht. Es folgt der Tonhöhe einer Trompete,
unhörbar zunächst, so als müsse nichts überstürzt werden, als hätte
der Morgen die Uhrzeit verschluckt. Bis sich zwischen die Zweibeiner die Vierbeiner
mischen und Dringlichkeiten anzeigen. Geigen werden gestimmt,
auch Gitarren, und die Finger suchen die ersten Tasten am Klavier. Das feste
Schuhwerk kennt den Weg von selbst. „Der Tag“ heißt das erste Stück,
das in seiner Rhythmik eher den Streichern zu gehören scheint und durch die
Augen das zu Erwartende im Wetterbericht antizipiert.
Im bewegteren Takt vergehen die Stunden und entwickelt sich die Lust am
Festhalten. Bis zum Crescendo einer Konzentration, dem schwingenden Auf
und Ab aller Instrumente in einer Notenfolge, die Bilder entwirft, sie sehen
lässt, festhält, mitträgt im Schleppnetz der Klangfelder.
Am Abend werden die Farben analysiert, die Bild-Noten-Reihen mit kritischem
Auge gemustert. Was bleibt, ist ein Ton, ein Bild im Raum des Schweigens.
So entstehen Bildfolgen von Jahreszeiten – Bildfolgen vom eigenen Sein –
Aneinanderreihungen – An- und Abwesenheiten – das von Sonne und Regen
motivierte Wachsen, Blühen und Vergehen.
Als in Trier lebende Schriftstellerin und Fotokünstlerin hat Paula De Lemos
ein Auge für die Wiederholungen entwickelt. Doch wie jedes Jahr des eigenen
Lebens deutliche Unterschiede zum vorhergehenden präsentiert, so ist die
Wiederholung mit einem steten Anlauf zu vergleichen, der den Sprung vergisst.
Deshalb sehen und hören wir das Sehen und fühlen es auch in den Fotografien
von Paula De Lemos.
Im Sprung wäre die Bildfolge zu schnell.
Im Sprung würde das Sehen zur musikalischen Abruptio.