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Vorwort von Dr. Luise Lutz
Hanne Vahldick war meine Patientin in einer Reha-Klinik. Als ich sie kennenlernte, war sie ein verzweifeltes Nervenbündel. Sie steckte in einem nicht endenden Albtraum: Eines Morgens war sie mit einer gelähmten rechten Seite aufgewacht, und während sie noch darüber grübelte, was passiert sein konnte und es ihrem Freund zu erklären versuchte, wurde alles noch schlimmer: Sie merkte, dass sie kein Wort hervorbringen konnte – ihre Sprache war weg. Ihr Freund konnte sie nicht mehr verstehen, und sie verstand ihn nicht. Ein Schlaganfall hatte sie aus ihrem Leben herauskatapultiert:
Verschlungen sitze ich neben der Sprache Stumm ist mein Mund. Verworren lächle ich, bleib von dem Sprechen getrennt. Die Augen – aufmerksam, aber ich kann das Sprechen nicht finden. Oh grauenhafte Welt! Aus dieser Sackgasse, aus dieser Sprachstraße verbissen kratze ich ich mir das Gehirn. Ach, und während ich noch mit den Worten kämpfe, öffnet sich der Schlund und aus spuckt er die Verständnislosigkeit der anderen.
Sie war aber doch die alte Hanne geblieben: Sie wollte selbstständig sein. Mit ihrem Freund, ihrem Vertrauten, der sie oft auffing, war sie nicht verheiratet, sie wollte nicht, dass er sein eigenes Leben für sie aufgab. Und auch ihre Eltern wollte sie nicht einspannen. Sie wollte allein mit den Herausforderungen fertig werden, auch wenn sich anfangs die Dinge im Haushalt alle Augenblicke gegen ihre noch ungeschickte linke Hand sträubten. Sie trainierte die Hand auf jede mögliche Weise und wurde immer erfolgreicher: Begann, mit einem Stickrahmen zu sticken, töpferte nur mit links und brachte es auf rätselhafte Weise sogar fertig, allein mit der linken Hand zu stricken. Schließlich lernte sie Weben und war fasziniert. Gemeinsam mit ihrer Weblehrerin, die inzwischen ihre Freundin geworden ist, gibt sie seitdem Webkurse, jedes Jahr auch einen Kurs für Menschen mit Aphasie und ihren Angehörigen, darunter eine Stammgruppe, die jedes Jahr wiederkommt. Viele Jahre sind vergangen, seit ich Hanne kennenlernte. Sie hat einige der alten Freunde behalten, neue dazugewonnen, ihr Freund ist inzwischen ihr Mann geworden. Sie wohnt immer noch in ihrem Haus mit einem verwilderten Garten und vielen Bäumen, in das damals Kinder aus dem Dorf kamen, mit denen sie töpferte und manchmal Englisch übte. In diesen langen Jahren hat Hanne sich ihre Sprache mit viel Geduld, Zähigkeit und Vertrauen in ihre „Heilungskräfte“ zurückerobert. Aus den wiedergewonnenen Wörtern und Sätzen sind Geschichten entstanden, in denen Hanne, Aphasikerin und Weberin, ihre alte und neue Welt zu einem vielfarbigen Muster verwebt hat: Glückliches und Tragisches, immer mit einem Lachen. Alle Geschichten haben einen dunklen Grundton, der auf Verletzungen hinweist, die das ganze Leben lang bleiben werden: Die sichtbaren Folgen eines Schlaganfalls, die Lähmungen. Eine junge Frau sieht sich selbst: „wie eine alte Frau, die mit dem Stock geht, weil sie sich nicht anders helfen kann...“ Begegnungen, Flirts, die dadurch ihr schnelles Ende finden... Noch schmerzlicher, die mühsame Suche nach den richtigen Worten: „... diese Trauer, diese Scham auch, wenn ich manchmal angefangen habe, etwas zu erzählen, und dann nicht mehr weiter wusste ...“. Aber Hannes Welt besteht aus mehr: Überraschende Begegnungen; alltägliche, aber nicht selbstverständliche Hilfeleistungen; Glück über eine Tour, obwohl deren Ziel gar nicht erreicht wurde, Freundschaft, Land-schaft, die „fast ein bisschen bezaubernd“ ist, mit Menschen, die „einfach lachen über diese Situation“, Menschen wie Dörthe, über die Hanne sagt: „und in Gedanken tanzte sie in der Küche – wie sollte es auch anders sein – eine Jig...“.
Dr. Luise Lutz Aphasietherapie Hamburg
Verschlungen sitze ich neben der Sprache Stumm ist mein Mund. Verworren lächle ich, bleib von dem Sprechen getrennt. Die Augen – aufmerksam, aber ich kann das Sprechen nicht finden. Oh grauenhafte Welt! Aus dieser Sackgasse, aus dieser Sprachstraße verbissen kratze ich ich mir das Gehirn. Ach, und während ich noch mit den Worten kämpfe, öffnet sich der Schlund und aus spuckt er die Verständnislosigkeit der anderen.
Sie war aber doch die alte Hanne geblieben: Sie wollte selbstständig sein. Mit ihrem Freund, ihrem Vertrauten, der sie oft auffing, war sie nicht verheiratet, sie wollte nicht, dass er sein eigenes Leben für sie aufgab. Und auch ihre Eltern wollte sie nicht einspannen. Sie wollte allein mit den Herausforderungen fertig werden, auch wenn sich anfangs die Dinge im Haushalt alle Augenblicke gegen ihre noch ungeschickte linke Hand sträubten. Sie trainierte die Hand auf jede mögliche Weise und wurde immer erfolgreicher: Begann, mit einem Stickrahmen zu sticken, töpferte nur mit links und brachte es auf rätselhafte Weise sogar fertig, allein mit der linken Hand zu stricken. Schließlich lernte sie Weben und war fasziniert. Gemeinsam mit ihrer Weblehrerin, die inzwischen ihre Freundin geworden ist, gibt sie seitdem Webkurse, jedes Jahr auch einen Kurs für Menschen mit Aphasie und ihren Angehörigen, darunter eine Stammgruppe, die jedes Jahr wiederkommt. Viele Jahre sind vergangen, seit ich Hanne kennenlernte. Sie hat einige der alten Freunde behalten, neue dazugewonnen, ihr Freund ist inzwischen ihr Mann geworden. Sie wohnt immer noch in ihrem Haus mit einem verwilderten Garten und vielen Bäumen, in das damals Kinder aus dem Dorf kamen, mit denen sie töpferte und manchmal Englisch übte. In diesen langen Jahren hat Hanne sich ihre Sprache mit viel Geduld, Zähigkeit und Vertrauen in ihre „Heilungskräfte“ zurückerobert. Aus den wiedergewonnenen Wörtern und Sätzen sind Geschichten entstanden, in denen Hanne, Aphasikerin und Weberin, ihre alte und neue Welt zu einem vielfarbigen Muster verwebt hat: Glückliches und Tragisches, immer mit einem Lachen. Alle Geschichten haben einen dunklen Grundton, der auf Verletzungen hinweist, die das ganze Leben lang bleiben werden: Die sichtbaren Folgen eines Schlaganfalls, die Lähmungen. Eine junge Frau sieht sich selbst: „wie eine alte Frau, die mit dem Stock geht, weil sie sich nicht anders helfen kann...“ Begegnungen, Flirts, die dadurch ihr schnelles Ende finden... Noch schmerzlicher, die mühsame Suche nach den richtigen Worten: „... diese Trauer, diese Scham auch, wenn ich manchmal angefangen habe, etwas zu erzählen, und dann nicht mehr weiter wusste ...“. Aber Hannes Welt besteht aus mehr: Überraschende Begegnungen; alltägliche, aber nicht selbstverständliche Hilfeleistungen; Glück über eine Tour, obwohl deren Ziel gar nicht erreicht wurde, Freundschaft, Land-schaft, die „fast ein bisschen bezaubernd“ ist, mit Menschen, die „einfach lachen über diese Situation“, Menschen wie Dörthe, über die Hanne sagt: „und in Gedanken tanzte sie in der Küche – wie sollte es auch anders sein – eine Jig...“.
Dr. Luise Lutz Aphasietherapie Hamburg