Joan Centre 69 + 2 von Willi F. Gerbode | Reine Ansichtssachen | ISBN 9783942027038

Joan Centre 69 + 2

Reine Ansichtssachen

von Willi F. Gerbode
Buchcover Joan Centre 69 + 2 | Willi F. Gerbode | EAN 9783942027038 | ISBN 3-942027-03-8 | ISBN 978-3-942027-03-8
Für alle, die an guten S/w-Fotos interessiert sind in Kombination mit literarisch-aphoristischen Texten

Joan Centre 69 + 2

Reine Ansichtssachen

von Willi F. Gerbode
Vorwort des Fotografen und Autors
Warum reise ich?
Manchmal halte ich es zu Hause nicht mehr aus, und das ziemlich oft, regelmäßig eigentlich. Gott sei Dank bin ich in der glücklichen Lage, nicht an Urlaubstage, Ferien oder ähnliche Zwangswesten gebunden zu sein. Ich bin frei. Frei zu leben, aber auch frei zu verhungern. Bisher war ich letzterem nicht allzu nah. Noch einmal ein Dank nach oben. Also, ich habe die Wahl, und die nutze ich. Wenn ich reise, dann bin ich kein Touri, der seine Kamera irgendwie auf Landschaft nebst belebtem Inventar draufhält, um Beweise für seine Weltläufigkeit zu sammeln. Wenn ich reise, interessiert mich die Kathedrale von Palma de Mallorca nur so lange, wie ich sie führerlos durchqueren kann – 10 Minuten also. Wenn ich reise, dann ist für mich Cap Ferrár an der Cóte d’Azur nur so lange spannend, bis meine Gattin und ich bei einem Kassensturz festgestellt haben, dass wir in diesem Leben die Villa „Le Soleil“, vor der wir gerade stehen, nicht mehr bezahlen können, unsere Kinder nicht, ebenso wenig unsere Enkel. Wenn ich reise, dann nehme ich den Großmeisterpalast auf Rhodos nur als das wahr, was er ist, ein italo-faschistisches Disneyland, gebaut mit der romantischen Fantasie an historischer Wahrheit nicht besonders interessierter Architekten. Zur Zeit des Baus zweckdienlich der Großmannsideologie eines Mussolini, zweckdienlich heute, Touristen auf die Insel des Apollon zu locken.
Warum fotografiere ich?
Sicher, wenn ich reise, dann mache ich auch all die Fotos, die der gewöhnliche Touri-Touri in seinen weißbestrumpften Sandalen auf den Chip seiner Digitalkamera zwingt. Diese abertausenden Reproduktionen einer Bilderbuchwelt, Opium für das Volk, fristen bei mir auf der Festplatte ein karges Dateiendasein. Zu Recht füllen sie nur selten den Großbildschirm unseres Wohnzimmers und erblicken so das Licht meiner Alltagswelt. Daneben und hauptsächlich aber versuche ich mich als „Lichtschreiber“ – nicht anderes bedeutet das griechische Wort Photographía. Ich sehe eine Wirklichkeit, die viele nicht sehen, nicht sehen können oder wollen. Es ist die Welt hinter der Welt, es ist mein Blick durch das Klarglas des Offensichtlichen, das, genau betrachtet, aber gar nicht so durchsichtig ist. In manchen Fotos sehe ich, wie sich dieses Glas in den Spiegel des Wahren verwandelt oder zumindest das, was ich für wahrhaftig halte. Meiner Frau gehe ich mit meinem Fotografierverhalten regelmäßig auf die Nerven, weil ich dann nicht ansprechbar bin, wegtauche in diese andere Sphäre – die mir die Welt um mich herum erst verrät. Es ist eine reizvolle, anregende, bisweilen verbotene Landschaft, die meine Erinnerung wach rüttelt; eine Dimension, die meine Gedanken hüpfen lässt wie ein Gummiball; eine Welt, die mich augenblicklich traurig macht – oder glücklich. Manchmal sogar so, dass mir die Tränen kommen, wenn ich das Abbild später auf meinem Laptop sehe. Oft fällt mir erst dann auf und ein, was ich zu sehen glaubte, warum ich das Foto machte. Und genau das finden sie als Leser dieses Buches in den Worten zum jeweiligen Bild. Ob Ihnen das Buch gefallen wird, ich weißt es nicht. Ich hoffe es allerdings sehr. Nicht aus eigennützigen Motiven, etwa, weil ich meine, so der „Villa de Soleil“ ein Stück näher kommen zu können, weil sie dann noch ein oder zwei Bändchen als Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk dazukaufen. Nein, vielleicht gebe ich den Anstoß dazu, dass sie in Zukunft auch mal ihre eigentliche, ihre wahre Welt hinter der Wirklichkeit suchen. Glauben Sie mir: Sie haben die Chance sich selbst finden, wenn auch nur zum Teil. Vielleicht aber gelingt das auch nicht. Reine Ansichtssache!
Willi F. Gerbode Naxos/ Griechenland, Mai 2011